Der kleine Haken, unten rechts, das ist der Aufschwung

Letzte Woche feierten die Märkte. Ein Grund zum Feiern fand sich schnell. Immerhin meldeten die Wirtschaftsnachrichten: Industrieaufträge schießen nach oben.

Konjunkturängste sind angeblich weggewischt

Selbst die konservative Börsen-Zeitung sprach überschwänglich davon, die im Dezember 2009 aufgekommenen Konjunkturängste seien mit den neuen Orderdaten wie weggewischt. Auf den ersten Blick scheinen die hinter dieser Meldung stehenden Nachrichten auch positiv. Schauen Sie sich drei Argumente der Nachrichten und Kommentatoren an, die die Börsenkurse nach oben trieben.

3 Argumente für eine vermeintlich starke Wirtschaft

1. Immerhin stieg Auftragsvolumen der Industrie im Januar um 4,3 % im Vergleich zum Vormonat.

2. Und es kam noch besser: Der Zuwachs fiel mehr als doppelt so stark aus wie erwartet.

3. Der starke Zuwachs bei den Bestellungen von Vorleistungsgütern aus dem In- und Ausland sei ein klares Indiz für einen stabilen Aufschwung.

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Die 3 Argumente kritisch hinterfragt

Für den flüchtigen Nachrichtenleser sah das wirklich gut aus. Ich frage, was steckt hinter diesen Zahlen? Meine 3 Antworten:

1. Auftragsvolumen notiert auf dem Wert von 2004

Das statistische Bundesamt selbst schafft Klarheit mit der folgenden Grafik:
Industrie.Auftragseingang
Der kleine Haken unten rechts, der für Januar 2010, der wurde bejubelt. Das ist der „Haken, der angeblich Konjunkturängste wegwischt“. Die Grafik zeigt:

a) Der Auftragseingang notiert auf Werten des Jahres 2004. Damals pendelte der DAX um 4.000 Punkte. Heute steht er rund 50% höher.

b) Vom Hoch zum Tief verlor der o.a. Auftragseingangsindex rund 50 Punkte. Seit dem Tief wurden gut 20 Punkte hinzugewonnen. Das heißt, weniger als die halbe Wegstrecke zurück ist geschafft.

2. Erwartungshaltung ist völlig beliebig

Der Zuwachs fiel mehr als doppelt so stark aus wie erwartet, war das o.a. 2. Argument. Das übliche Spiel. Die Erwartung vor Zahlen wird runter geschraubt (da hilft vielleicht ein kurzes inoffizielles Flurgespräch). Anschließend werden die „besser als erwartet“ ausgefallenen Zahlen bejubelt. Ein Argument ohne jegliche Substanz.

3. Stabiler Aufschwung wird von Konsum getragen

Das o.a. dritte Argument soll uns zeigen, dass wir uns in einem stabilen Aufschwung befinden. Ein Witz! Gegenargumente:

a.
Wenn der Aufschwung stabil ist, warum erhöhen die Zentralbanken dann nicht langsam die Zinsen? Ein stabiler Aufschwung kann das vertragen.

b. Unverändert hängt die deutsche Konjunktur an den USA. Und in den USA hängt die Konjunktur wiederum am privaten Konsum. Dort wurden letzte Woche Arbeitslosenzahlen gemeldet, die besser waren als erwartet. (Zu dem Argument „besser als erwartet“, siehe oben, das ist ein Witz-Argument). Tatsache ist, dass sie Arbeitslosenrate in den USA seit nun rund 24 Monaten steigt, Monat für Monat.

Sarkastisch frage ich:
Die Arbeitslosen, deren Anzahl weniger als erwartet, aber mehr als in den 23 Monaten zuvor ist, die sorgen für einen steigenden privaten Verbrauch und „wischen Konjunkturängste weg“?

Viele Kommentare sind wie das berühmte Fähnlein im Winde

Steigt der DAX um 100 Punkte, wird alles gelobt. Fällt der DAX, wird auf Griechenland & Co und die Banken eingedroschen. Wie es gerade passt. Die Kurse machen die Nachrichten und Kommentare. Kritische Nachrichten und Kommentare sind kaum zu finden.

Noch ein kleines Beispiel: Heute las ich, dass der starke Winter für ein schlechtes Geschäft sorge. Denn die Kunden blieben zuhause. Früher hieß es bei einem kalten Winter, er sorge für ein gutes Geschäft. Denn Wintersport und Winterbekleidung ließen sich gut verkaufen.

Unabhängige Kommentare im Optionen-Investor

Hier im Optionen-Investor bin ich keinem zahlenden Werbungskunden verpflichtet. Nur Ihnen, der Leserin und dem Leser. Das ermöglicht mir, Zahlen und Nachrichten kritisch zu hinterfragen und zu kommentieren. Sie, lieber Leserin und lieber Leser, mögen mal meiner Meinung sein, ein anderes Mal vielleicht auch nicht. Sie können aber immer sicher sein, dass Sie einen Kommentar ohne jegliche Beeinflussung finden. Reinschauen lohnt sich.

Zum guten Schluss:
Heute vor 63 Jahren, am 08.03.1947, erschien die Abhandlung „Dialektik der Aufklärung“ der deutschen Soziologen und Philosophen Theodor Adorno und Max Horkheimer. Wikipedia schreibt zum 4. Kapitel dieser Abhandlung:

„Hier wird gezeigt, dass die Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität in eine Ökonomisierung aller Lebensbereiche fortschreitet und damit letztlich in einem „Ausverkauf der Kultur“ endet, wo Sinn durch die kalkulierten Dummheiten des Amüsements ersetzt wird und das Wirtschaftsgeschehen als Ausfluss der objektivierten Macht logischer Rationalisierungsprozesse unreflektiert verherrlicht wird.“

Erschienen 1947, das unterschreibe ich heute als brandaktuell. Und der Teil: „Sinn durch die kalkulierten Dummheiten des Amüsements ersetzt“ könnte als Zusammenfassung weiter Bereiche der Programme der Privatfernsehsender dienen.

Das aktuelle Wirtschaftsgeschehen hier reflektierend, aber beileibe nicht verherrlichend, sende ich Ihnen beste Grüße